LONDON (dpa-AFX) - Sieben Wochen vor dem EU-Referendum wählen die Schotten, Waliser und Nordiren neue Parlamente. Auch in London und anderen Städten und Bezirken ist am 5. Mai Wahltag. Die Debatte über einen EU-Austritt Großbritanniens ist dabei kein großes Thema, aber ganz ausblenden lässt sie sich auch nicht.
In der britischen Hauptstadt zieht vor allem die Direktwahl des Bürgermeisters die mediale Aufmerksamkeit auf sich. Entschieden wird die Wahl zwischen dem Labour-Kandidaten Sadiq Khan und dem Konservativen Zac Goldsmith. Einwandererkind gegen Milliardärssohn. Khan liegt in den Umfragen vorn, er wäre der erste muslimische Bürgermeister Londons. Er hat sich in der Brexit-Debatte auf die Seite der EU-Befürworter gestellt. Zac Goldsmith hofft darauf, die Stimmen der Europa-Skeptiker abzugreifen und profitiert davon, dass der scheidende Amtsinhaber, Parteifreund Boris Johnson, auf seine polternde Art Stimmung für einen EU-Austritt macht. Wahlkampfthemen sind vor allem Wohnungsnot, Öffentlicher Nahverkehr und Kriminalität.
Überschattet wurde der Wahlkampf von Vorwürfen der Konservativen, Sadiq Khan habe sich nicht deutlich genug von Islamisten abgegrenzt. Labour wiederum konterte, die Vorwürfe seien Teil einer islamophoben Schmutzkampagne gegen ihren Kandidaten.
Auch in Schottland spielt das EU-Referendum im offiziellen Wahlkampf kaum eine Rolle. Das liegt vor allem daran, dass die Schotten überwiegend für einen Verbleib in der Europäischen Union sind. Keine der schottischen Parteien wirbt für einen Austritt Großbritanniens aus der EU. Gerade mal eine einzige Abgeordnete im schottischen Parlament wagt es, sich offen für einen "Brexit" auszusprechen.
Doch es gibt einen Zusammenhang, der in seiner Bedeutung die tagespolitischen Themen bei Weitem übertrifft: Die Frage nach der schotttischen Unabhängigkeit. Nach dem gescheiterten Referendum vom September 2014 ist sie keineswegs vom Tisch. Unabhängigkeit oder nicht. Das sei "jetzt die Demarkationslinie in der schottischen Politik", sagt der Politikwissenschaftler John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow.
Die linksgerichtete schottische Nationalpartei SNP regiert seit der Wahl 2011 mit absoluter Mehrheit. Die schottische Ministerpräsidentin und SNP-Chefin Nicola Sturgeon hat bereits angekündigt, dass es im Falle eines "Brexit" zu einem erneuten Unabhängigkeitsreferendum kommen könnte.
Jüngsten Umfragen zufolge wird die SNP bei der Wahl am 5. Mai noch einmal hinzugewinnen. Die Labour-Partei, die sich gegen eine schottische Unabhängigkeit ausspricht, verliert dagegen weiter an Boden und muss sogar damit rechnen, an dritter Stelle hinter den Tories zu landen. Es wäre das erste Mal seit mehr als einem Jahrhundert.
Auch in Wales muss sich Labour auf einen Verlust einstellen. Trotzdem wird die Arbeiterpartei wohl weiterhin stärkste Kraft sein. Es gibt niemanden, der Labour in Wales ernsthaft Konkurrenz machen könnte. Die Waliser-Partei Plaid Cymru, die sich für eine Unabhängigkeit von Großbritannien einsetzt, ist weit von den Erfolgen der SNP in Schottland entfernt.
Ähnlich wie in Schottland war in Wales die Bereitschaft zu einem EU-Austritt bislang sehr viel geringer als in England. Doch das ändert sich seit Kurzem. "Immer mehr Waliser befürworten in Umfragen einen EU-Austritt", sagt der Politikwissenschaftler Richard Wyn Jones von der Universität Cardiff. Dafür spricht auch, dass die eurokritische Ukip-Partei kurz davor ist, zum ersten Mal in die walisische Nationalversammlung gewählt zu werden. Laut Umfragen wird sie mit sieben Sitzen viertstärkste Kraft.
Die Wahl in Nordirland wird vor allem von der Konkurrenz zwischen der nationalistischen Sinn Fein und der London-freundlichen DUP bestimmt. Da das Land seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 von einer Einheitsregierung regiert wird, geht es im Wesentlichen darum, welche der beiden Parteien den Ministerpräsidenten stellt. Bislang hat das Amt Arlene Foster von der DUP inne und Umfragen deuten darauf hin, dass es so bleibt. Die Möglichkeit eines EU-Austritts Großbritanniens hat aber auch hier Rufe nach einem Referendum über einen Zusammenschluss mit der Republik Irland aufkommen lassen. Dass es dazu kommt, ist aber so gut wie ausgeschlossen.